« Gisela! oder: Die merk- und denkwürdigen Wege des Glücks“
Augenzwinkernder, testamentarischer Abschiedsstreich!
Oper, sagte Henze, ist eine besonders künstliche Kunstform, bei der nichts den Tatsachen entspricht und die Musik für die Glaubwürdigkeit auch der seltamsten und ungewöhnlichsten Seelenzustände geradestehen muss. Sie muss ihre Hörer betören, verzaubern, verschrecken, beschwören, verführen, unterhalten, bei der Hand nehmen und in nächtliche Zaubergärten einlassen oder in gleissendes Tageslicht stoßen (aus Reisebilder und Böhmische Quinten). Dann sagt er weiter: « meine Musik lebt von ihren Widersprüchen, steckt voller Dornengestrüpp, Stacheln und Unannehmlichkeiten. Sie ist giftig wie Schlangenbisse, ihre Umarmungen können gefährlich werden, sich als Betrug Herausstellungen, den Erwartungen nicht entsprechen (das schrieb er 1991).
Das großartige Teatro Massimo in Palermo hat die Saison 2015 mit Hans Werner Henzes « Gisela! oder: Die merk- und denkwürdigen Wege des Glücks“ eröffnet. Dieses „Musiktheaterstück für Sänger, Mimen, Ballett, kleinen gemischten Chor und Instrumente ist Henzes letztes großes Werk. Er hat es ganz bewusst nicht „Oper“ genannt. Zur Mozarts Zeiten hätte es die Bezeichnung „Singspiel“ bekommen. Ein großes und humorvoll-besinnliches Abschiedsgeschenk.
Der Vorhang ist noch zu und doch beginnt beim Reingehen schon das Rätseln. Soll das ein weißer Vesuv sein oder eine Art mutiertes Riesenei? Jedenfalls bricht es plötzlich auf und Pulcinella (Gennaro) schießt heraus, um sich in italienischer Sprache (der Rest des Werkes wurde natürlich in deutscher Sprache aufgeführt) dem Publikum vorzustellen. Dann hebt sich der Vorhang und die Reisegruppe aus Oberhausen kann am Bahnhof in Neapel ankommen. Sie sind gut gelaunt und tragen Sommerkleidung. Der Reiseleiter Gennaro, unser Pulcinella in geklonter, vielfacher Ausfertigung, begrüßt die Gruppe und bietet seine Dienste an. Gisela (man bemerke das Ausrufezeichen im Titel) mit ihren schönen hochhackigen roten Schuhen will dann auch gleich ins Nationalmuseum und Angelikas Kaufmanns Bilder bestaunen. Während der Vulkanologe Hanspeter Schluckebier, bieder, deutsch, ernst, gewissenhaft, mit grüner Jeans und Jackett sich schon auf den Vesuv freut, um ihn, in Humboldt-Manier, gründlich zu erforschen fiebern die restlichen Mitreisenden in Vorfreude dem Trip zur Amalfiküste entgegen. „Nicht weit von hier ist der Parsifal entstanden. Richard Wagner war glücklich in Ravello“!. Allgemeinplätze werden verkündet und verbreitet und, ähnlich wie bei den Personen der Commedia dell’Arte, vermischen sich Realität mit Fiktion genau so schnell, wie man die schwarze Augenmaske aufsetzen und wieder abnehmen kann.
Aber zuerst führen uns Henze und Dante zu einer neapolitanischen Prozession und gleich im Anschluss zu einem neapolitanischen Spektakel mit Tanz und Klamauk, eine Parodie à la Laurel und Hardy, bei der nicht nur die roten Kostüme eine Hommage an Strawinkys „Sacré du Printemps“ verkünden. Gisela und Gennaro kommen sich näher und Hanspeter wird eifersüchtig, symbolisiert mit gelben Rosenstöcken. Diese Szene ist herrlich und sieht so leicht und spritzig aus wie sie, laut Gennaro/Pulcinella Marcello Nardis schwierig für die Sänger war. Hunderte von diesen, fast personengroßen Rosenstöcken werden vom Pulcinella-Stamm so bewegt, dass sie zuerst den Weg von Gisela ins Glück markieren, dann zwei getrennte Zimmer andeuten, in denen die beiden sich zur Ruhe legen können, bis die frisch Verliebten gemeinsam die Blumenmauer einreissen und sich vereinen. Gennaros (wetterbedingte) Bedenken mit Gisela nach Oberhausen zu gehen, wischt sie kurzerhand weg „bei uns regnet es zwar oft, aber jeder hat einen Regenschirm!“ Dem kann er natürlich nichts mehr entgegensetzen. Derweil Hanspeter immer noch an die bevorstehende Hochzeit mit Gisela denkt und die Menü-Vorbereitungen anlaufen, verkündet eine andere Reiseteilnehmerin, dass Gisela und Gennaro abgereist seien. Ist es Traum oder Wirklichkeit! Der erste Akt endet grau in grau und die beiden Liebenden tanzen in grauen Trench gekleidet unter zwei grauen Regenschirmen und von der farbenprächtigen Neapelstimmung bleiben nur noch Giselas rote Schuhe und die Musik!
« Dem heiligen Januarius, durch das Wunder seines Blutes vor Hunger, Krieg, Pest und dem Feuer des Vesuvs gerettet, Neapel, seinem Mitbürger, Patron, Beschützer. » (Spruch im Dom)
Im zweiten Akt wird diese Graustimmung fortgesetzt und weist uns und die Protagonisten den merk- und denkwürdigen Weg zum Glück und so etwas geht natürlich nur im Traum! Ironische Tutu-Balletteinlagen purzeln durch eine farbige Grimmsche Märchenwelt. Die sieben Zwerge beschützen Schneewittchen vor der bösen mann-artigen Königin, bis dann ein Jäger auftaucht und nacheinander alle bedroht, das Gewehr ständig den Besitzer wechselt und der Traum kurzzeitig zum Alptraum wird, oder sind wir vielleicht doch im Ruhrgebiet? Ein beklemmend-fröhliches Durcheinander, wie es nur in einer Scheinwelt existieren kann inklusive dem erleichterten Erwachen. Dann ist der Traum anscheinend zu Ende (oder auch nicht) und man legt wieder die hell-fröhlichen Commedia dell’Arte- Gewänder, die ein wenig an Derwische erinnern, an. Oberhausener Regenschirme und Grau verschwinden und „Frei und glücklich“ bewegt sich das deutsch-italienische Paar Hand in Hand auf den feurigen Vesuv zu, der mittlerweile im Hintergrund rumort. „Oh, du schöner Vesuv, du bist Zeuge: Freiheit und Tugend werden immer mit uns sein“. Gennaro scheint aber Neapel dann doch nicht vor dem Ausbruch bewahrt zu haben. Ein Happy End ist es allemal, sonst hätte Henze ja nicht auf die merk- und denkwürdigen Wege zum Glück verwiesen. Emma Dante hat das jedenfalls verstanden.
ein sichtlich gerührter Michael Kerstan (er hat zusammen mit Christian Lehnert das Libretto geschrieben) mit dem « Gennero »-Darsteller Marcello Nardis bei der Generalprobe (Foto: Claudia Bilotti Augsdörfer)
Während der erste Akt spritzig, schnell und leidenschaftlich ist, wird die Musik im zweiten Akt langsamer, auch ernster und ist nun mehr denn je gespickt mit meisterhaften Referenzen an alle Komponisten, die für Henzes Musik und Leben wichtig waren. Immer wieder Bach-Zitate, unterbrochen von Mozart, Hindemith, Mahler, Strawinsky, ja sogar Wagner und neapolitanischer Volksmusik und natürlich Rückblicke auf sein eigenes so umfangreiches Werk.
In Neapel war er glücklich und noch als 70-jähriger schreibt Henze, wie sehr er die Neapelzeit vermisse. Das Ende ist der Anfang und der Beginn der Suche nach dem Glück. Henze der Romantiker, er hat nach schwerer Krankheit 2006/2007 nochmals 3 wichtige Werke geschrieben – unglaublich!
„Gisela“ ist ein großes zitatenreiches und symbolisches Abschiedsgeschenk aber nicht unbedingt ein Alterswerk, gedacht für junge Musiker und Sänger. Die romantische und sensible Kunststudentin Gisela Geldmaier ist sicher ein Gedanke an Henzes beste Freundin, Ingeborg Bachmann, mit der er lange Jahre in Neapel lebte. Gisela Geldmaier kommt aus Oberhausen, das liegt um die Ecke seines Geburtsortes und seine Mutter hieß mit Mädchennamen Geldmacher. Vielleicht war es aber auch eine Hommage an Margot Fonteyn, die Henze verehrte und die er zum ersten Mal in „Giselle“ in den 50er Jahren hat Tanzen sehen. Giselas Verlobter heißt Hanspeter, fast so wie er selber. Hanspeter ist ein gewissenhafter und akkurater Westfale, eher schüchtern im Umgang, wie Henze sein Leben lang unter einem Provinzkomplex (seine Worte) gelitten hat. Gennaro ist der Schutzheilige von Neapel, nur er kann verhindern, dass der Vesuv wieder ausbricht (was er laut Emma Dante dann aber doch tut!). Er ist draufgängerisch, hitzig und wahrscheinlich eher oberflächlich. Die beiden sind so gegensätzlich wie es das grau-schwarze Oberhausen im Vergleich zum stürmischen Vulkanausbruch eines Vesuv nur sein kann.
Henze war in den 50er Jahren selber auf einer merk- und denkwürdigen Suche nach dem Glück und vor allem auf der Suche nach seiner Musik, nachdem er sich den Dogmen der Darmstädter Ferienkurse nicht unterwerfen wollte. In Deutschland konnte er weder atmen noch seinen späteren „Henze-Stil“ finden. Er wurde von Stockhausen gemieden und Luigi Nono (Gigi), den er verehrte und respektierte, verließ bei der Premiere zu « Elegy for Young Lovers » das Theater schon vor der Pause (Henze berichtet darüber in seinen « Reisebildern und Böhmische Quinten »). Schon 1953 kam er auch deshalb nach Ischia wo er u.a. auf das Paar Wystan Hugh Auden und Chester Kallmann, mit denen er später einige Projekte durchführen würde, traf. 1956 zog er nach Neapel und schrieb fast leidenschaftliche Briefe an die Bachmann, um sie nach Neapel zu holen (wie am 15. April 1957 ein Telegramm „BITTE DICH ZU KOMMEN AUCH NUR FUER WENIGE TAGE = HANS“). Anfang der 60er Jahre ging er schließlich mit seinem langjährigen Partner Fausto nach Rom und ließ sich definitiv in Marino, in den Albaner Bergen, in der Nähe von Nemi, nieder (hier sollte später, 2006, seine Phädra eine wichtige Rolle bekommen).
Emma Dante hat ihn verstanden und ging sehr frei und kreativ mit dem Libretto um. Sie ist in Palermo geboren und aufgewachsen. Die Mütze von Pulcinella/Gennaro sieht aus wie das Füllhorn im Oratorio di San Lorenzo oder wie ein Teil der Dachdekoration der Kirche des Hl. Giovanni. Alles greift ineinander über und alles ist im allem verbunden.
1950, in Wiesbaden, arbeitete Henze an einem Stück von Moliere « Jack Pudding ». Es kam nie zur Aufführung, erst 1995 holte er es wieder hervor, machte aus dem Pierrot einen Pulcinella, verlegte die Geschichte in die farbige und leidenschaftliche Welt von Neapel und nannte es « Pulcinella alla ricerca della Fortuna per le strade die Napoli » (Pulcinella auf der Suche nach dem Glück in den Straßen von Neapel) - ist die Gisela vielleicht hieraus entstanden? Pulcinella und Schluckebier, allein schon die Namen sprechen von seinen beiden Seelen, der westfälischen und der italienischen. In Neapel war er sehr glücklich und dort lässt er nun sein letztes Werk spielen.
Das Libretto haben Christian Lehnert und Michael Kerstan geschrieben. Die außergewöhnliche Akkustik in diesem Theaters unterstrich nochmals das Können der Sänger und das Publikum wurde von der Euphorie, die die Protagonisten untereinander hatten, angesteckt. Constantin Trinks hat das Hausorchester und die Solisten wunderbar durch diesen bunten seltsamen Traum geführt. Vanessa Goikoetxea (wir haben sie gesehen und sie war zauberhaft, verträumt und doch entschieden und bewegte sich mit großer Grazie in ihren hochhackigen roten Schuhen) und Arianna Vendittelli sangen Gisela, Lucio Gallo und Szymon Komasa waren Hanspeter und Gennaro Esposito wurde abwechselnd von Roberto De Biasio (im Bild – auch er war ein verführerischer und charmanter Pulcinello-Reiseleiter) und Marcello Nardis gesungen. Das sind dann auch schon die drei Hauptpersonen, die allerdings so gut wie immer präsent sind (vor allem Gisela und Gennaro). Die originellen Kostüme hat Vanessa Sannino entworfen, die Choreografie Sabino Civilleri und Manuela Lo Sicco.
„Genau so hätte der Maestro sich seine Gisela gewünscht!“ Diesen Satz gab einer der Librettisten, Michael Kerstan, nach der Generalprobe von sich.
Als gemeinsames Auftragswerk der Ruhrtriennale und der Semperoper Dresden wurde Gisela 2010 kurz hintereinander in unterschiedlichen Versionen aufgeführt. Der damals 84jährige Henze hat für die Dresdner-Version noch am Tag der Premiere per Email Änderungen geschickt! Typisch für Henze, der im Laufe seines Lebens, sehr oft ein Stück wieder und wieder umgeschrieben hat.
Das Teatro Massimo in Palermo, das übrigens die drittgrößte Bühne aller europäischen Theater hat und die beste Akkustik aufgrund einer Konstruktion der Bühne, die dem Maul einer griechischen Theatermaske entspricht, hat sich nun daran gewagt und ist stolz darauf, hat doch der Maestro den Großteil seines Lebens im Süden von Italien verbracht.
Schade ist nur, dass man diese Version nicht ein wenig auf die Reise schicken kann! Es kommt einer Verschwendung gleich, diese Ideen und Einfälle wieder wegzusperren.
Christa Blenk
Fotos: Christa Blenk
Nachklapp: Am nächsten Morgen hatten wir dann das große Glück und wurden vom Stage Director Ludovico Rajata durch das Theater geführt und konnten beim Abbau von « Gisela » ein wenig – fast bedauernd es nicht nochmals sehen zu können - dabei sein.
Hier sieht man noch den Verlobungskuchen (der ja nicht gegessen wurde weil die Verlobung nicht stattgefunden hat) und im Hintergrund die religiösen Prozessionsfiguren, mit denen am Anfang des Singspiels die ankommenden Ruhrgebietler gleich mit dem religiös-paganen Neapel konfrontiert wurden. Der ganze Zauber dieses Opernhauses sprang hier auf uns über als auf der einen Seite « Gisela » verschwand und im nächsten Raum schon für die nächste Veranstaltung geprobt wurde oder die Tänzer für Orpheus und Euridice von Gluck probten (es wirde Ende Februar aufgeführt). Treppen rauf, Treppen runten kommen wir in den Keller und dann in die Königsloge. Dank an den Stage Direktor Ludovico Rajata, der uns netterweise durch das Theater geführt hat.